Wie kann man feststellen, ob eine gegebene rationale Funktion
(d.h. ein Quotient zweier Polynome) Polstellen hat und
von welcher Ordnung sie sind? Wie kann man feststellen, wie sich eine rationale Funktion,
die eine Polstelle besitzt, in deren Nähe verhält?
Diskutieren wir das zunächst anhand eines Beispiels: Wir betrachten die durch den Term
x2 − 1
(x − 1)4
(1)
definierte Funktion. Da der Nenner für x = 1
Null ist, ist der Term dort nicht definiert. Allerdings wird der Zähler für x = 1
ebenfalls 0. Schreiben wir ihn als
(x + 1)(x − 1),
so sehen wir, dass durch x − 1
gekürzt werden kann. Wir können unsere Funktion daher als
f (x) =
x + 1
(x − 1)3
(2)
definieren.
Nun hat der Zähler aber für x = 1
einen von Null verschiedenen Wert, nämlich 2, während der Nenner dort Null wird.
Daher besitzt die Funktion bei x = 1
eine Unendlichkeitsstelle (Polstelle). Der (größtmögliche) Definitionsbereich ist durch
A = R \ {1} gegeben.
Wie verhält sich diese Funktion in der Nähe der Polstelle?
Wir dürfen nicht einfach x = 1
in den Funktionsterm einsetzen (denn das würde auf die Division 2/0 führen).
Wir behelfen uns mit einem kleinen Trick: Wir belassen den
Ausdruck x − 1
im Nenner, setzen aber an allen anderen Stellen des Funktionsterms x = 1
ein. Da x ansonsten nur im
Zähler vorkommt, bedeutet das, letzteren durch 2 zu ersetzen.
Was wir damit bekommen, ist eine Näherungsformel für unsere Funktion für den
Fall, dass x
der Zahl 1 immer näher kommt:
f (x) ≈
2
(x − 1)3
für x ≈ 1.
(3)
Damit ist klargelegt, was für die Unendlichkeit bei x = 1
verantwortlich ist: die dritte Potenz von x − 1
im Nenner. Der Exponent 3 verrät uns: es handelt sich um einen Pol dritter Ordnung.
Formel (3) gibt uns das Verhalten der Funktion in der Nähe des Pols an.
Die genaue Form des Zählers ist für dieses Verhalten
irrelevant, solange er an der Polstelle ungleich Null ist − und genau das haben wir
sichergestellt, indem wir den zu Beginn gegebenen Term (1) erst einmal gekürzt haben.
Hätten wir das nicht gemacht, hätte man aufgrund der vierten
Potenz im Nenner von (1) fälschlicherweise annehmen können, dass
es sich um einen Pol vierter Ordnung handelt.
Dieses Verfahren überträgt sich auf beliebige rationale Funktionen.
Die durchzuführenden Schritte sind:
Die Nullstellen des Nenners auffinden. Das sind die Kandidaten für Pole.
Prüfen, ob der Zähler an diesen Stellen ungleich Null ist.
Falls nicht, kann gekürzt werden, bis der Zähler ungleich Null ist.
Dabei kann es passieren, dass einzelne Kandidaten für Pole wieder wegfallen.
Beispiel: (x2−1)/(x−1).
Hier liegt bei x = 1
gar kein Pol vor, denn Kürzen führt auf den Term
x+1.
(Es handelt sich lediglich um eine Definitionslücke).
Für jede verbleibende Polstelle x0
kann der Funktionsterm in die Form
f (x) =
g(x)h(x) (x − x0)n
,
(4)
gebracht werden,
wobei g und h
Polynome sind, für die
g(x0) ≠ 0
und h(x0) ≠ 0
gilt, und n eine natürliche Zahl ist.
(Das ist deshalb so, weil der Nenner ein Polynom ist und jede Nullstelle eines Polynoms
eine wohldefinierte Ordnung n besitzt).
Nun wird der Ausdruck
(x−x0)n
so belassen, wie er ist, während überall sonst
x = x0
gesetzt wird. Das führt auf einen Näherungsterm der Form
f (x) ≈
k
(x − x0)n
für x ≈ x0 ,
(5)
wobei
k =
g(x0)/h(x0)
eine von Null verschiedene Konstante ist. x0 ist ein
Pol n-ter Ordnung.
An den Formeln (4) bzw. (5) kann die Ordnung des Pols als
Exponent von x−x0
abgelesen werden.