Größere Schriftzeichen   

Beweis von (16):
 
( xn ) '   =   n xn 1
  (16)

Die Fälle n = 0, 1, 2 und 3
haben wir bereits behandelt. Für sie reproduziert Formel (16) die bereits bekannten Ableitungen 1' = 0, x' = 1, (x2) ' = 2x und (x3) ' = 3x2.

Für natürliche n  ( n = 1, 2, 3, 4,... )
kann (16) mit einem Schlag durch vollständige Induktion (wie wir sie im Kapitel Zahlen besprochen haben) bewiesen werden: Damit ist bewiesen, dass (16) für alle natürlichen Zahlen n gilt.

Bemerkung: Dieser Beweisschritt kann auch ohne vollständige Induktion durchgeführt werden, indem der Differenzenquotient

(x + ε)n xn
ε  

mit Hilfe der Abkürzung z = x + ε in die Form

zn xn
z x  

gebracht und ein bisschen umgeformt wird:

(z x) (zn 1 + zn 2 x + zn 3 x2 + ... + z xn 2 + xn 1)
z x  

Jetzt kann der Nenner weggekürzt und der Grenzübergang ε  0 in der Form z  x durchgeführt werden, was zum Resultat n xn 1 führt.
Ist n eine negative ganze Zahl,
d.h. n = m für eine natürliche Zahl m, so ist xn = xm = 1/xm. Wir fassen diese Funktion als Quotient f(x)/g(x) mit f(x) = 1 und g(x) = xm auf und differenzieren sie mit Hilfe der Quotientenregel (13). Dazu benötigen wir die Ableitungen f '(x) = 0 und g'(x) = m xm 1. (Dass letzteres für natürliches m gilt, haben wir ja oben bereits bewiesen). Die Quotientenregel (13) ergibt unmittelbar

(1/xm) '  =  m xm 1/x2m  =  m xm 1,

was mit m = n genau zu Formel (16) wird. Letztere ist daher für alle ganzen Zahlen n bewiesen.

Ist n der Kehrwert einer natürlichen Zahl,
d.h. n = 1/k für eine natürliche Zahl k, so ist xn = x1/k. Die Funktion f(x) = x1/k ist die inverse Funktion von x( f ) = f k. Für diese können wir nach den bisherigen Beweisschritten (16) anwenden: x'( f ) = k f k 1. (Beachten Sie, dass wir jetzt x nach f differenzieren, nicht umgekehrt!)  Daher wenden wir nun die Regel (15) für die Ableitung der inversen Funktion an und erhalten

(x1/k'  =  1/(x'( f ))  =  1/(k f k 1)  = 
 =  (1/k) × f 1 k  =  (1/k) × x(1 k)/k  =  (1/k) × x1/k 1
,

wobei wir im vorletzten Schritt f durch x1/k ersetzt haben. Mit k = 1/n erhalten wir daraus genau die Aussage von Formel (16), die wir damit auch für den Fall, dass n der Kehrwert einer natürlichen Zahl ist, bewiesen haben.

Ist n der Kehrwert einer negativen ganzen Zahl,
d.h. n = 1/k für eine natürliche Zahl k, so schreiben wir xn als Quotienten 1/x1/k, wenden die Quotientenregel an und benutzen dabei das zuvor erzielte Resultat. Auf diese Weise können wir (16) auch für diesen Fall verifizieren. (Führen Sie die Rechnung als Übungsaufgabe aus!)

Ist n eine rationale Zahl,
d.h. n = p/k für natürliche Zahlen p und k (letztere 0), so ist xn = xp/k. Dies fassen wir als Verkettung f(g(x)) mit f(g) = g p und g(x) = x1/k auf. Aufgrund der früher erzielten Resultate können wir beide mit Hilfe von (16) differenzieren. Nach einer Anwendung der Kettenregel (14) erweist sich (16) auch für beliebige rationale Zahlen n als richtig. (Führen Sie die Rechnung als Übungsaufgabe aus!)

Ist n eine beliebige reelle Zahl,
so approximieren wir diese, wie wir es im Kapitel Exponentialfunktion und Logarithmus gemacht haben, durch eine Folge rationaler Zahlen, für die die Gültigkeit von Formel (16) ja bereits sichergestellt ist. Wir wollen Sie an dieser Stelle bitten, uns zu glauben, dass dieses Verfahren mathematisch exakt gemacht werden und damit (16) für alle reellen Zahlen n bewiesen werden kann.



Nachbemerkung: Gemessen an den zahlreichen Schritten des Beweises, die jeweils ihre eigenen Spezialargumente benötigt haben, ist es erstaunlich, dass die Rechenregel (16) eine so einfache Form hat. Sie gehört zu den besonders schönen Resultaten der modernen Mathematik.